Gewohnheiten – automatisch und ohne Anstrengung zu guter Gesundheit

Um 08.00 Uhr aufstehen, die Kaffeemaschine einschalten und duschen gehen. Im Halbschlaf das Müsli in die Schüssel befördern und erstmal einen großen Schluck vom frisch gebrühten Kaffee nehmen. Ein Großteil unseres täglichen Verhaltens wird durch Gewohnheiten bestimmt. 

Gesunde Gewohnheiten können uns ohne viel Aufwand dabei unterstützen, etwas Gutes für unsere Gesundheit zu tun.

Sie erleichtern uns unseren Alltag und ersparen es uns, uns immer wieder neu entscheiden zu müssen. Erst frühstücken gehen oder unter die Dusche hüpfen? Natürlich gehen wir erst duschen! Und auch während wir beispielsweise duschen, müssen wir nicht wirklich über die aktuelle Handlung nachdenken. Wir führen sie einfach aus. Dies gibt uns Raum und Zeit, um über andere Dinge nachzudenken und macht uns effizienter.

Viele Menschen haben intuitiv eine ungefähre Vorstellung von Gewohnheiten. Es geht um automatische Verhaltensweisen, über die wir wenig aktiv nachdenken und die wir manchmal auch ausführen, obwohl wir sie gerne sein lassen würden. 

Gewohnheiten im Gesundheitskontext

Ob regelmäßig Sport machen, eine gesunde Mahlzeit essen, oder das Feierabendbier - viele Aktivitäten, die sich auf unsere Gesundheit auswirken, führen wir mehr oder weniger automatisch aus. Verhalten kann grob gesagt über zwei Wege initiiert werden: Über einen kontrollierten Weg, bei dem wir uns Gedanken darüber machen und uns aktiv für das Verhalten entscheiden, und einen automatischen Weg, bei dem wir das Verhalten ohne gedankliche Anstrengung und ohne große Aufmerksamkeit ausführen. Eine Gewohnheit ist ein Paradebeispiel für diesen zweiten automatischen Weg.

Forschung zeigt, dass Gewohnheiten zu einem großen Teil bestimmen, wie viel körperlicher Aktivität wir nachgehen oder wie wir uns ernähren (1). Darüber hinaus zeigt sich, dass es umso schwieriger ist, unsere neuen guten Vorsätze umzusetzen, je stärker unsere bisherigen Gewohnheiten sind (1). Sofern diese Gewohnheiten unseren Zielen entsprechen, macht das natürlich nichts. Sind die Gewohnheiten allerdings unerwünschte Verhaltensweisen, können sie unseren guten Vorsätzen ziemlich im Weg stehen.

Ein vielversprechender Ansatz, einen gesünderen Lebensstil aufzubauen, ist es daher, unerwünschte Gewohnheiten abzubauen und gesunde Gewohnheiten zu etablieren. Hierbei gilt: Auch viele kleine Verhaltensweisen, die zu Gewohnheiten werden und sich summieren, können uns zum Ziel führen. Hierzu könnte beispielsweise zählen:

  • Die Treppe statt den Aufzug nehmen
  • 1-2 Stationen früher aus der Bahn aussteigen und den restlichen Weg laufen
  • Mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren
  • Obst anstelle von Süßigkeiten als Snack essen
  • Bei jeder Mahlzeit den Teller als erstes mit Obst oder Gemüse füllen
  • Wasser anstelle von Süßgetränken trinken
  • ...

… und viele weitere Verhaltensweisen.

Ein genaues Verständnis darüber, wie Gewohnheiten funktionieren, gibt uns die Möglichkeit an den richtigen Stellschrauben zu drehen, um langfristig wünschenswerte Gewohnheiten aufzubauen und unerwünschte Gewohnheiten abzubauen.

Was ist eine Gewohnheit?

Unter Gewohnheiten versteht man ein konkretes, automatisch ausgeführtes Verhalten in einer spezifischen Situation. Eine Gewohnheit ist demnach eine gelernte Reiz-Reaktions-Verbindung, die durch die wiederholte Ausführung und Belohnung eines Verhaltens in einem stabilen Kontext gelernt wird (2, 3).

Zu abstrakt? Hier nochmal einfacher ausgedrückt: Ein konkretes Verhalten, wie zum Beispiel das Essen eines süßen Snacks auf der Arbeit, führen wir zu Beginn meist nicht automatisch sondern intentional aus, beispielsweise um ein Hungergefühl zu überwinden. 

Wenn du das konkrete Verhalten (Essen eines Snacks) wiederholt im selben Kontext ausführst (z.B. immer nachmittags, wenn dein Kollege auf einen Kaffee vorbei kommt und deine Arbeit unterbricht), werden Umgebungsreize mit der Ausführung des Verhaltens assoziiert. So kann es sein, dass du in Zukunft automatisch zu einem Snack greifst, wenn dein Kollege für einen Kaffee vorbeikommt, unabhängig davon, ob du hungrig bist oder nicht.

Automatizität als Kernmerkmal von Gewohnheiten

Ein Hauptmerkmal von Gewohnheiten ist deren Automatizität, was die automatische Abfolge eines Prozesses (in unserem Fall eines beobachtbaren Verhaltens) beschreibt. Automatische Prozesse und damit auch Gewohnheiten haben eine Reihe von Eigenschaften, die sie für uns sehr interessant machen. Sie sind schnell und effizient und ersparen uns im Alltag wertvolle Zeit, da wir uns nicht immer wieder Gedanken darüber machen müssen, wie wir uns verhalten wollen.

Eigenschaften von Gewohnheiten

Die mit wichtigste, im Alltag häufig übersehene Eigenschaft, ist die Kontextabhängigkeit von Gewohnheiten. Das bedeutet, dass diese immer in derselben Situation zum Tragen kommen beziehungsweise durch denselben Reiz ausgelöst werden. In unserem früheren Beispiel wird das Essen des Snacks beispielsweise durch das Auftauchen des Kollegen ausgelöst. Dies hat wichtige Implikationen für den Aufbau von neuen Gewohnheiten, insbesondere aber auch für die Ersetzung einer unerwünschten mit einer gewünschten Gewohnheit, worauf wir in unserem nächsten Artikel noch näher eingehen werden.

Eine weitere Eigenschaft von Gewohnheiten ist, dass sie häufig unbewusst sind, das heißt wir sind uns nicht über den Zusammenhang des konkreten Reizes und dem (Gewohnheits-)Verhalten im Klaren. Ein wichtiger erster Schritt um Gewohnheiten zu ändern ist daher, den Reiz, der das Verhalten in einer bestimmten Umgebung auslöst, zu identifizieren. 

Wechselwirkung von Zielen und Gewohnheiten

Das letzte Merkmal von Gewohnheiten ist ihre Unabhängigkeit von Zielen. Wir zeigen das gelernte Verhalten auch dann, wenn wir kein konkretes Ziel mit diesem Verhalten verfolgen und manchmal sogar dann, wenn das Verhalten uns an der Erreichung unserer aktuellen Zielen hindert. Ein gutes Beispiel hierfür ist das Verlangen nach einer Zigarette, das häufig auch bei Gelegenheitsrauchern in einer ganz konkreten Situation auftritt (z.B. auf einer Party in Kombination mit Alkoholkonsum). 

Gewohnheiten sind nach den gängigen Definitionen unabhängig von Zielen. Dennoch liegt es nahe, dass sie auf verschiedenen Wegen mit Zielen interagieren können (3). Ziele können dazu beitragen, dass wir unerwünschte Gewohnheiten aktiv unterbinden (wenn wir uns dieser bewusst sind!). Dies bestärkt noch einmal die Schlussfolgerung, dass es sehr wichtig ist, sich unerwünschter Gewohnheiten und ihrer Auslöser bewusst zu werden. 

Darüber hinaus können Ziele insbesondere zu Beginn beim Aufbau neuer Gewohnheiten eine wichtige Rolle einnehmen. In unserem Artikel zu Zielsetzung haben wir dir bereits einige Punkte vorgestellt, auf die es hierbei zu achten gilt. Zuletzt kann es auch sein, dass wir unser Verhalten als Informationsquelle nutzen und aus unseren Gewohnheiten Rückschlüsse über unsere eigenen Ziele ziehen.
Wechselwirkung von Zielen und GewohnheitenWechselwirkung von Zielen und Gewohnheiten. Ziele können dazu beitragen, (1) dass du ein konkretes Verhalten wiederholt im selben Kontext ausführst und (2) dass unerwünschte gewohnheitsbasierte Verhaltensweisen verhindert werden. Zuletzt kann es auch sein, (3) dass wir aus unseren Gewohnheiten Rückschlüsse über unsere eigenen Ziele ziehen.

Eine Gewohnheit ist nicht gleich eine Gewohnheit

Zum Schluss noch ein paar kurze Worte zur Art und Komplexität des Verhaltens. Sowohl einfache als auch komplexere Handlungen können zur Gewohnheit werden. Ein Beispiel für eine sehr einfache Gewohnheit ist, dass du automatisch an einer roten Ampel stehen bleibst. Im Laufe deiner Kindheit wurde dir vermutlich auch beigebracht, dass du beim Aufleuchten des roten Lichts der Ampel stehen bleiben musst.

Der einzige Verhaltensschritt, der hierbei ausgeführt wird, ist das Stehenbleiben. Durch wiederholtes Ausführen des Verhaltens (stehen bleiben) im selben Kontext (rotes Lichtsignal), wurde das Verhalten zu deiner Gewohnheit und du bleibst heutzutage sogar meist auch dann stehen, wenn weit und breit kein Auto in Sicht ist.

Demgegenüber stehen komplexere Verhaltensweisen wie zum Beispiel das Kochen eines gesunden Gerichts oder der Gang ins Fitnessstudio. Diese komplexeren Verhaltensweisen setzen sich zumeist aus mehreren kleineren, einfacheren Verhaltensweisen zusammen. Beispielsweise musst du für das Training im Fitnessstudio die heutigen Übungen zusammenstellen, deine Sportsachen packen und mitnehmen und nach der Arbeit zum Fitnessstudio fahren. 

Theoretisch lässt sich dies noch in viel kleinere Schritte herunter brechen, z.B. musst du gegebenenfalls deine Sportsachen waschen, damit du diese anschließend in deine Tasche packen kannst, welche du dann später auf dem Weg zur Arbeit mitnimmst. Ob ein Verhalten aus einem einzigen Schritt oder aus mehreren Schritten besteht, ist eines von zwei Klassifikationsmerkmalen der Komplexität eines Verhaltens.

Im Fall von abstrakteren Gewohnheiten (z.B. regelmäßig ins Fitnessstudio gehen oder täglich 5 Portionen Obst und Gemüse essen) kann eine Gewohnheit sowohl auf die Initiierung als auch die Ausführungs des Verhaltens entwickelt werden (9,10).

So können wir beispielsweise die Gewohnheit ausbilden, jeden Mittwoch ins Fitnessstudio zu gehen (Initiierungs-Gewohnheit). Welche Übungen wir dort allerdings ausführen, kann von Woche zu Woche variieren. Andersherum kann es zu Beginn jedes Mal eine aktive Entscheidung sein, ins Fitnessstudio zu gehen, wohingegen die Übungen die man dort ausführt automatisch demselben Ablauf folgen (Ausführungs-Gewohnheit).

Wenn es um die Etablierung abstrakterer Gewohnheiten geht, legen erste Forschungsergebnisse nahe, dass es wichtiger ist, dass die Initiierung des Verhaltens - anstelle der konkreten Art der Ausführung - zur Gewohnheit wird (10,11).

Belohnungswert des Verhaltens

Neben der Unterscheidung nach Verhaltenskomplexität lässt sich ein Verhalten noch danach klassifizieren, ob es mit unmittelbaren “Belohnungen” (z.B. gutes Gefühl beim Konsum von Schokolade) oder mit entfernten Vorteilen und Belohnungen (z.B. einem Gesundheitsvorteil von regelmäßigem Gemüsekonsum) verbunden ist (4).  

Insbesondere sehr einfache Verhaltensweisen, die in sich selbst belohnend sind (z.B. ungesundes Snacking), werden zum Großteil durch unsere Gewohnheiten bestimmt (5, 6). Über mehrschrittige Verhaltensweisen ohne unmittelbare Belohnung hingegen haben wir einen größeren Einfluss. Insbesondere auch dann, wenn noch keine starken Gewohnheiten ausgebildet sind (7, 8). 

Schlussfolgerung und Ausblick

Wie bereits erwähnt, ist ein gutes Verständnis von Gewohnheiten wichtig, um erfolgreiche Gewohnheiten aufzubauen. Im kommenden Artikel zum Aufbau gesunder Gewohnheiten werden wir uns anschauen, welche Prozesse für die Entstehung von Gewohnheiten relevant sind.

 

Titelbild von Ana Juma von Unsplash

Michael

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Michael ist promovierter Gesundheitspsychologe und interessiert sich für die verschiedensten Themen rund um Gesundheit. Auf H4bits schreibt er über Themen aus den Bereichen gesunder Lebensstil, Prävention, Gesundheitsförderung, Gewohnheitsbildung und Veränderung von Gesundheitsverhalten.

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