Definition von Gesundheit – mehr als nur die Abwesenheit von Krankheit

“Was bedeutet Gesundheit?” Wenn wir diese Frage nach der Definition von Gesundheit hundert Personen stellen würden, würden wir vermutlich genau so viele unterschiedliche Antworten erhalten. Schmerzfrei sein. Körperlich fit und leistungsfähig sein. Sich wohl fühlen und glücklich sein.

Bevor wir uns mit der Definition von Gesundheit beschäftigen, möchte ich, dass du kurz inne hältst und dir die Frage selbst beantwortest: Was bedeutet Gesundheit für dich?

Im Folgenden Artikel werden wir uns damit beschäftigen, wie sich die Vorstellung von Gesundheit im Verlauf der Zeit verändert hat und welche Vorteile unser heutiges Verständnis von Gesundheit durch den Fokus auf unsere eigene Anpassungsfähigkeit aufweist.

Gesund = nicht krank? Das biomedizinische Modell von Gesundheit

Noch im 19. Jahrhundert dominierte das sogenannte biomedizinische Modell die Vorstellung von Gesundheit und Krankheit. Zu dieser Zeit verstand man unter Gesundheit und Krankheit objektivierbare Zustände biologischer Organismen (1).

Das bedeutet, dass Krankheit nach dieser Sichtweise objektiv messbar beziehungsweise erfassbar ist. Krankheitsursachen wurden primär in der Genetik oder außerhalb des Menschen gesucht (z.B. verursacht durch Viren und Bakterien).

Interessanterweise war Gesundheit nach diesem Modell allerdings kein eindeutig umschriebener Zustand, sondern vielmehr die Abwesenheit von Krankheit (1). War man nicht objektiv krank, war man gesund - es herrschte eine stark dichotome Sichtweise, ein Schwarz-Weiß-Denken.

Als krank galt zudem, was von der Norm abwich. Dies bedeutet gleichzeitig, dass Krankheit kontext- und kulturabhängig war. Hierzu ein kleines Beispiel aus heutiger Sicht: Übergewicht und Adipositas gelten weltweit sowohl als eigenständige Krankheiten, als auch als Risikofaktoren für verschiedene Folgeerkrankungen.

In einigen Ländern, vorwiegend kleine Pazifikstaaten, ist die Bevölkerung zu 60% adipös - also stark übergewichtig. Starkes Übergewicht stellt die Norm dar, Personen in einem gesunden Gewichtsbereich weichen von der Norm ab. Dennoch würden wir die Menschen mit einem gesunden Körpergewicht nicht als krank bezeichnen, nur weil sie von der Norm abweichen.

Wir sind mehr als nur Bakterien und Viren!

Das biomedizinische Modell wurde im 20. Jahrhundert unter anderem aufgrund der weiter oben erwähnten Kritik an der dichotomen Sichtweise vom biopsychosozialen Modell der Gesundheit abgelöst. Das Modell betont, dass es zwischen vollständig gesund und vollständig krank sehr viele Abstufungen gibt (1).

Darüber hinaus stellt es die gegenseitige Beeinflussung von biologischen (z.B. Viren oder Verletzungen), psychologischen Faktoren (z.B. Verhalten und Emotionen) und sozialen (z.B. Arbeitsverhältnisse) Faktoren bei der  Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheit und Gesundheit heraus.

Gesundheit wurde nun wesentlich differenzierter betrachtet; man ist nicht mehr entweder krank oder gesund, sondern das Ausmaß der Krankheitsbelastung ist abhängig von Dauer und Häufigkeit der Krankheit sowie dem subjektiven Befinden.

Kontinuum von Gesundheit und Krankheit
Kontinuum von Gesundheit und Krankheit

Insbesondere die Berücksichtigung weiterer, nicht-biologischer Faktoren wie Emotionen oder individueller Bewältigungsstrategien galt als großer Fortschritt der Medizin. Schauen wir uns zum Beispiel einen intuitiv zunächst rein objektiven Krankheitszustand an: Eine akute Verletzung, beispielsweise eine an der Herdplatte verbrannte Hand.

Schmerzen verbinden wir in der Regel mit akuten und objektiven Verletzungen. Der Griff auf eine heiße Herdplatte führt zu einer Schädigung unserer Haut und Schmerzrezeptoren werden in unserer Hand aktiviert. Diese leiten die Information über die heiße Herdplatte an das Gehirn weiter, wo der Reiz verarbeitet wird und die Wahrnehmung von Schmerz entsteht.

Durch die Schädigung der Haut und eine komplexe biologische Reaktion verschiedener Signalstoffe unseres Körpers werden die Schmerzrezeptoren empfindlicher. Dies führt unter anderem dazu, dass wir noch für längere Zeit Schmerzen empfinden und neue Reize, die normalerweise nicht schmerzhaft sind, nun bei Kontakt mit der Haut eine schmerzhafte Empfindung hervorrufen können.

Wie stark wir eine bestimmte Verletzung als Schmerz wahrnehmen, hängt jedoch nicht nur von der Stärke der Verletzung ab. Auch unsere bisherigen Erfahrungen mit Schmerzen oder der Fokus unserer Aufmerksamkeit kann unsere Schmerzwahrnehmung beeinflussen.

So erweist sich die aktive Lenkung der Aufmerksamkeit vom Schmerzobjekt (der verbrannten Hand) weg als eine effektive Bewältigungsstrategie zur Reduktion der Schmerzwahrnehmung (1, 2).

Dieses Beispiel verdeutlicht, dass unsere individuelle Krankheitsbelastung nicht nur durch biologische Faktoren entsteht, sondern auch durch psychologische Faktoren beeinflusst werden kann.

Der Griff auf die Herdplatte wird von zwei unterschiedlichen Personen, mit unterschiedlichen bisherigen Schmerzerfahrungen, vermutlich sehr unterschiedlich bewertet. Neben dem objektiven, messbaren Gesundheitszustand, ist auch die subjektive Empfindung einer Person von großer Relevanz.

Gesundheitsdefinition nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Diese subjektive Komponente spiegelt sich - zumindest teilweise - auch in der Definition von Gesundheit nach der WHO wider.

Nach dieser Definition ist Gesundheit “ein Zustand vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ (3).

In dieser Definition zeigt sich die Relevanz der drei Kernbereiche körperlicher, geistiger und sozialer Gesundheit. Darüber hinaus betont die Definition neben objektiven Krankheitszuständen auch die Relevanz des subjektiven Wohlbefindens.

Definition von Gesundheit WHO

Die Definition der WHO ist wohl die am häufigsten zitierte Definition von Gesundheit, welche allerdings auch kritisch betrachtet wird. Insbesondere der Fokus auf das vollständige körperliche, geistige und soziale Wohlbefinden führt dazu, dass in unserer heutigen Gesellschaft ein Großteil der Bevölkerung als krank gelten würde (4).

Chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel Diabetes Typ-I, stellen heutzutage eher die Regel und nicht mehr die Ausnahme dar. Die Definition der WHO spricht durch ihre extreme Wortwahl Personen mit chronischen Erkrankungen die Fähigkeit ab, sich trotz ihrer Erkrankung psychisch und körperlich gesund zu fühlen.

Unter anderem deswegen gibt es schon seit längerem die Forderung nach einer Umformulierung der offiziellen Definition. Die eher statische Definition von Gesundheit solle hin zu einer dynamischeren Formulierung verändert werden, welche mehr Wert auf individuelle Ressourcen und Fähigkeiten der Menschen legt. (4) Doch was bedeutet das genau?

Gesundheit als die Fähigkeit sich anzupassen und sich selbst zu managen

Anstelle einer festen Definition von Gesundheit solle Gesundheit vielmehr als ein positives Konzept verstanden werden. Der Fokus liegt auf der Fähigkeit, sich an (neue) Situationen anzupassen. Dies kann bedeuten, dass wir widerstandsfähig gegenüber belastenden Situationen sind - oder im Fall der Fälle die Möglichkeiten aufweisen, uns auf die belastenden Situationen einzustellen.

Dieses Konzept der Fähigkeit sich anzupassen lässt sich auf alle drei Komponenten von Gesundheit (körperlich, psychisch und sozial) anwenden. Beispielsweise kann ein biologisches System als gesund verstanden werden, wenn es die Fähigkeit aufweist eine physiologische Homöostase (ein Gleichgewicht) aufrechtzuerhalten.

Ein gutes Beispiel hierfür ist unser Körper bei akutem Stress: Stresshormone werden ausgeschüttet, wodurch es unter anderem zu einer verbesserten Sauerstoffversorgung und Energiebereitstellung kommt und die Immunfunktionen verstärkt werden.

Dies ist eine “gesunde”, eine adaptive Reaktion unseres Körpers, die dafür sorgt dass sich der Organismus an die erhöhten Anforderungen anpasst und die Situation bewältigt.

Der Fokus auf Ressourcen und die Fähigkeit sich anzupassen ermöglicht es auch, dass sich Personen trotz Krankheiten gesund fühlen können. Ob jemand als gesund oder krank gilt, kann sich durch diese dynamische Definition im Verlauf der Zeit ändern, obwohl sich objektiv nicht viel an beispielsweise der körperlichen Situation verbessert hat (z.B. weiterhin fehlende Produktion des Hormons Insulin bei Diabetes Typ-I).

Mithilfe von Medikamenten wie Insulin lassen sich Krankheiten wie Diabetes allerdings behandeln und kontrollieren. Bei Befolgung des Medikamentenplans kann der Körper wieder weitestgehend normal arbeiten. Trotz einiger Einschränkungen (wie zum Beispiel der lebenslangen Einnahme von Insulin), können sich Patienten fit und glücklich fühlen. Wir Menschen können lernen, mit neuen (und zu Beginn belastenden) Situationen umzugehen und uns anzupassen. Und wir sind erstaunlich gut darin.

Aktive Rolle bei Aufrechterhaltung und Förderung von Gesundheit

Ein weiterer Vorteil dieser Art von Definition ist die Betonung der aktiven Rolle des Menschen bei der Aufrechterhaltung und Wiedererlangung von Gesundheit. Wir selbst haben die Möglichkeit, aktiv Einfluss auf unseren Gesundheitszustand zu nehmen. Durch die Erlernung von Bewältigungsmechanismen und gesundheitsförderlicher Denk- und Verhaltensweisen können wir unsere Gesundheit selbst in die Hand nehmen und zum Positiven beeinflussen.

Welche Verhaltensweisen und Strategien hierbei besonders hilfreich sein können und wie wir diese selbstbestimmt etablieren können, soll es in diesem Blog gehen. Im zweiten Teil unserer kleinen Einführungsreihe widmen wir uns zunächst dem Einfluss unseres Verhaltens auf unsere Gesundheit. Bleibt gespannt!

PS: Um auf die Ausgangsfrage zurück zu kommen, kommentier’ doch unter diesen Beitrag was für dich persönlich Gesundheit bedeutet.

 

Referenzen

Vollständige Referenzliste anzeigen
  1. Knoll, N., Scholz, U., & Rieckmann, N. (2017). Einführung Gesundheitspsychologie, 4. Auflage. UTB.
  2. Malloy, K. M., & Milling, L. S. (2010). The effectiveness of virtual reality distraction for pain reduction: a systematic review. Clinical Psychology Review, 30(8), 1011-1018.
  3. Hudson, B. F., Ogden, J., & Whiteley, M. S. (2015). Randomized controlled trial to compare the effect of simple distraction interventions on pain and anxiety experienced during conscious surgery. European Journal of Pain, 19(10), 1447-1455.
  4. WHO (2006). Constitution of the World Health Organization. www.who.int/governance/eb/ who_constitution_en.pdf.
  5. Huber, M., Knottnerus, J. A., Green, L., van der Horst, H., Jadad, A. R., Kromhout, D., ... & Schnabel, P. (2011). How should we define health?. BMJ, 343, d4163.

 

Michael

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Michael ist promovierter Gesundheitspsychologe und interessiert sich für die verschiedensten Themen rund um Gesundheit. Auf H4bits schreibt er über Themen aus den Bereichen gesunder Lebensstil, Prävention, Gesundheitsförderung, Gewohnheitsbildung und Veränderung von Gesundheitsverhalten.

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